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Tagebuch einer Verstopfungskolik

Verstopfungskolik

Tagebuch einer Verstopfungskolik

Wie schnell nur leichte Veränderungen in Haltung und Fütterung zu einer lebensbedrohlichen Situation führen können, zeigt dieser Bericht über den noch glücklichen Verlauf einer massiven und beinahe tödlich endenden Verstopfungskolik.

Sonntag/Montag, 14./15.08.2011

Gustav, mein 6-jähriger Tinker, kommt beide Tage nicht auf die Weide, da die Zäune erneuert werden. Normalerweise hat er den ganzen Tag Weidegang und kommt nur nachts in seine Großraumbox. Die Box, 5 x 10m, ist reichlich mit qualitativem Gerstenstroh eingestreut, so dass er weich liegt. Zudem wird es nie langweilig, da er ständig Stroh knabbern kann, wenn die Heurationen aufgefressen sind.

Die Haltung und Fütterung sind identisch, seit er bei uns ist, seit knapp 2 Jahren. An diesen beiden Tagen habe ich ihn jeweils ca. 30 Minuten in der Halle bewegt, die restliche Zeit verbrachte er in seiner Box, die aufgrund der Größe zumindest ein Minimum an Bewegung bietet.

Dienstag, 16.08.2011

Endlich sind die Zäune fertig und Gustav kann gleich morgens wieder raus. Damit er sich den Bauch nicht so voll schlägt nach zwei Tagen Weide freier Zeit, stelle ich ihn jedoch nur auf ein kleines, abgegrastes Weidestück. Er hat so zwar dauernd etwas zu mümmeln, kann sich jedoch keinesfalls überfressen (Tinker, insbesondere auch Gustav, neigt dazu). Das Gras ist sehr kurz und karg. Aufgrund der Größe des Weidestückes fehlt ihm jedoch auch an diesem Tag die weitläufige Bewegung, die er sonst auf den großflächigen Weiden genießt.

Am späten Nachmittag hole ich ihn rein. Alles o. K., wie immer, Gustav macht einen rundum gesunden und fitten Eindruck. Es ist ca. 16.00 Uhr.

Mein Büro liegt gleich über seiner Box, so höre ich jedes kleine Geräusch. Gegen 16.30 Uhr plötzlich höre ich ein rumpeln, so, als wenn Gustav ständig gegen die Türen schlägt. Ich bin noch ganz entspannt und schaue nach ihm. Mit meiner Entspanntheit war es jedoch gleich vorbei, als ich ihn sah. Gustav schlug vor lauter Schmerz immer wieder mit dem Kopf gegen die Boxentüre und lief aufgebracht von einer Seite zur anderen. Sofort war mir klar: Kolik, Hilfe... Ich nahm ihn aus der Box und merkte gleich, dass er nicht äppeln konnte: Verstopfungskolik! Gustav hatte einfach zu viel Stroh aus seiner Einstreu gefressen und wohl gleichzeitig zu wenig getrunken, zudem fehlte noch die Bewegung in den letzten 3 Tagen. Ich führte Gustav in unsere Halle. Dort führte ich ihn im Schritt umher. Gustav versuchte immer wieder, sich zu lösen und endlich zu äppeln, der ganze Körper verspannte sich, er spreizte die Hinterbeine und es sah aus, als wolle er sich hinsetzen. Er drückte und drückte, es kam nichts, einfach nichts! Gustav hatte große Schmerzen, er stöhnte und versuchte immer wieder die harten Strohklumpen herauszudrücken. Es tropfte bereits Blut aus dem After vor lauter Drücken.

Gustav bekam den Darm ausgeräumt, hervor kamen massive Verklumpungen mit Stroh, der Kot bestand überwiegend aus trockenem Stroh. Zusätzlich spritzen wir Buscopan. An diesem Abend waren leider nur noch 0,5 L Paraffinöl aufzutreiben, die ich ihm oral verabreichte. Paraffinöl wird im Gegensatz zu anderen Ölen nicht verdaut, Sinn der Gabe ist das Lösen der Verklumpungen durch Paraffinöl. Für diesen Zweck eignet sich aufgrund der Unverdaulichkeit nur Paraffinöl, jedes andere Öl würde anhand der therapeutisch zu verabreichenden Menge zusätzliche Probleme verursachen.

Zusätzlich gab ich ihm einige homöopathische Mittel und Colosan. Ab diesem Zeitpunkt gehörte der Kontakt mit Stroh der Vergangenheit an. Als ich sah, wie Gustav sich quälte, war mein erster Gedanke „nie wieder Stroh für Gustav". Kurz überlegte ich, wo er jetzt die Nacht verbringen konnte, seine Box gab unter der Stroheinstreu nur einen Betonboden her, was natürlich keine Alternative darstellt. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich, ihn über Nacht auf das kleine komplett abgegraste Weidestück zu stellen. Hier konnte er ein wenig Gras aufnehmen und hatte zudem noch mehr Bewegung, als in der Box. Zu dieser Zeit dachte ich noch, dass nach der Behandlung jetzt alles wieder o. K. ist und die Kolik überwunden sei. Ein fataler Fehlschluss, wie sich in den nächsten Stunden und Tagen herausstellen wird!

Inzwischen war es später Abend geworden, wir waren noch einige Stunden langsam im Schritt spazieren gegangen. Geäppelt hatte Gustav noch immer nicht, trinken wollte er auch nichts. Das nicht trinken war komplett außergewöhnlich, da Gustav eines der meist trinkendsten Pferde ist, was ich kenne. Er äppelte nicht, trank nicht und essen wollte er auch kaum. Alles keine guten Zeichen und sehr besorgniserregend.

Schmerzen hatte er nach dem Ausräumen jedoch glücklicherweise auch keine mehr. Gegen 23.00 Uhr dann brachte ich ihn auf das abgegraste Weidestück und hoffte, der Albtraum wäre am nächsten Morgen vorbei. Nachdem ich um 0.30 Uhr noch einmal bei ihm war, öffnete ich unser Schlafzimmerfenster, damit ich Gustav über Nacht hören konnte und versuchte zu schlafen.

Mittwoch, 17.08.2011

Gleich als es hell wird, werde ich wach und schaue nach Gustav. Was ich sah, ließ mich schaudern: Gustav lag auf dem Boden wie tot! Ich lief hin, er stöhnte und drückte und drückte, aus seinem After lief Blut, recht viel Blut. Mit gutem Zureden konnte ich ihn dazu bewegen aufzustehen. Er hatte die ganze Nacht nicht geäppelt, das heißt, er hatte jetzt den Kot von ca. 12 Stunden im Darm. Normalerweise kotet ein Pferd alle 3 Stunden... Ich stellte mir diese Wahnsinnsmenge vor und hatte furchtbare Angst. So viel konnte passieren, Teile des Darms könnten absterben, der Darm könnte reißen, sich verdrehen, ich durfte gar nicht weiter denken!

Gleiche Prozedur: Darm wieder ausräumen. Beim Ausräumen kam immer wieder Blut, das Blut lief an den Beinen runter. Das Ausräumen selbst war auch eine schmerzhafte Prozedur, Gustav wehrte sich dagegen. Dann wieder Buscopan, vorsichtshalber dieses Mal noch ein Antibiotikum. Wir hatten Angst, dass er eine Darmentzündung bekommt. Mit Mühe und Not konnte ich einen Liter Paraffinöl auftreiben, dieses flößte ich ihm über den Tag verteilt ein. Ich lief den ganzen Tag mit ihm durch die Gegend, stundenlang, hin und her, immer weiter, doch: nichts geschah. Er konnte noch immer nicht äppeln. Alle 4 Stunden fing er an zu drücken, doch noch immer kam kein Kot.

Das Ausräumen des Darms wird auch mehr zur Prozedur. Bei jedem Ausräumen entstehen weitere Verletzungen des Darms. Die Schmerzen werden auch immer größer. Bei jedem Ausräumen wehrt Gustav sich so ein klein wenig mehr. Aber es half alles nichts: wieder Darm ausräumen. Bei jedem Ausräumen blutete es mehr. Wieder laufen, wieder ausräumen, wieder Paraffinöl... wieder die Nacht auf dem abgegrasten Weidestück... wieder Angst vor dem Hellwerden, vor dem nächsten Morgen. Was erwartete mich am nächsten Tag? Ich konnte diese Nacht überhaupt nicht schlafen. Mitten in der Nacht ging ich noch mal zu Gustav. Er stand ganz ruhig und mümmelte ein wenig an dem kaum noch vorhandenen Gras. Mehr gab es nicht, nur dieses kleine abgegraste Weidestück. Er trank noch immer nicht.

Donnerstag, 18.08.2011

Mit dem Hellwerden mein erster Blick aus dem Fenster: Gustav lag wieder wie tot auf der Weide. Ich lief zu ihm, aus dem After lief das Blut nur so raus, überall war Blut. Er sah mich an und schien aufgegeben zu haben, seine Augen waren irgendwie leer, er schaute mich resigniert an, als wolle er fragen: Wie lange soll das noch so weiter gehen? Ich hatte inzwischen wenig Hoffnung, dass Gustav diese Verstopfungskolik überlebt und mir ging es entsprechend schlecht, ich war sehr unglücklich und traurig.

Wieder ausräumen, wieder wurde die Prozedur zur Qual, Gustav tat inzwischen alles nur noch weh. Ich besorgte 4 Liter Paraffinöl und Glaubersalz, ich massierte ihm zwischen unseren Spaziergängen mit Campher den Bauch, immer wieder flößte ich ihm jetzt Paraffinöl ein, ich wärmte zusätzlich Öl auf und machte ihm damit Einläufe, zwischendurch liefen wir, wir liefen KM hin und her, wieder Öl vorne rein, Öl hinten rein, Bauch massieren, zwischendurch Glaubersalz mit warmem Wasser, laufen. Zwischendrin telefonierte ich mit einer Pferdeklinik. Ein ziemlich unfreundlicher Tierarzt mahnte mich an, Gustav sofort einzuliefern. Auf meine Frage hin, wie in der Klinik behandelt würde, sagte er, es würde Paraffinöl mit der Nasenschlundsonde eingeflößt. Nasenschlundsonde, wofür? Es geht halt schneller meinte er. Die Frage, ob Klinik oder nicht hatte ich vorher bereits mit meinem TA erörtert und wir kamen beide zu dem Schluss, dass ein Klinikaufenthalt nicht unbedingt von Vorteil für Gustav wäre. Um beispielsweise Paraffinöl mit der Nasenschlundsonde zu verabreichen, müsste Gustav eine Sedierung bekommen; diese wiederum ist infolge eines eh bereits geschwächten Herz/Kreislaufsystems nicht ganz ungefährlich, ebenso wie das Setzen einer Nasenschlundsonde bei einem sich wehrendem Pferd. Gustav bringt ca. 800 KG auf die Waage, wenn er widersetzlich wird, ist dies nicht unbedingt ein Kinderspiel. Bei uns ist er zu Hause, von mir lässt er sich alles gefallen. Fremden gegenüber ist er vorsichtig und misstrauisch. Das alles waren Aspekte, die mich bestärkten, ihn weiter zu Hause zu behandeln. So jedoch konnte es nicht weitergehen! Ich flößte ihm an diesem Donnerstag 4 Liter Paraffinöl mit einer 20 ml Spritze ein und dies in ca. 4 Stunden. Zusätzlich machten wir immer wieder Einläufe mit warmem Öl und zwischendrin liefen wir spazieren und ich massierte ihm den Bauch. Ich wusste, wir haben nicht mehr viel Zeit, er muss jetzt wieder anfangen, selbständig zu äppeln, wir können ihn nicht mehr oft ausräumen, ohne den Darm, der eh schon überall gerissen war, irreparabel zu schädigen! Es war unser letzter Tag, wir mussten das jetzt schaffen, immer wieder redete ich ihm so zu und ich hatte den Eindruck, er verstand. Am Vormittag kam ein erstes leichtes Äppeln, es war 1 Ballen, mehr nicht, aber immerhin. Abends musste er dann jedoch noch einmal ausgeräumt werden. Ich wusste, wenn wir es nicht ganz bald schaffen, haben wir den Kampf verloren! Dieses ganze Paraffinöl, diese ständigen Einläufe, es musste doch einfach wirken! Wir waren uns einig, noch mal Ausräumen geht kaum noch, der Darm war so kaputt, er blutete immer mehr. Gustav roch inzwischen ganz krank und nach Blut. Die entscheidende Nacht kam nun auf uns zu...

Freitag, 19.08.2011

Es wurde hell, ich lief zum Fenster: Gustav stand! Ein gutes Zeichen, zum ersten Mal lag er nicht wie tot und blutend auf der Weide, zum ersten Mal stand er augenscheinlich normal und wartete auf mich. Ich lief zu ihm und sein Blick zeigte mir, dass es ihm bereits viel besser ging. Ich suchte die Weide ab und konnte tatsächlich ein Häufchen erblicken: Er hatte zum ersten Mal selbständig geäppelt. Meine Freude war groß. Von diesem Morgen an ging es wieder bergauf. Am Vormittag kam das zweite zaghafte äppeln, am Nachmittag ging es bereits besser und ein relativ normaler Kothaufen verließ Gustavs Darm.

Unser Laufprogramm behielten wir noch einige Tage bei, auch das Bauch massieren mit Campher und die Einläufe mit warmem Öl behielten wir noch einige Tage zur Sicherheit bei. Ab dem Abend mistete er wieder ganz normal.

Gustav erholte sich schnell, bereits nach wenigen Tagen war er wieder fast der Alte. Ein Problem stellte sich jedoch noch als Folge ein: Er bekam Probleme, zu urinieren. Die Blase hatte entweder Schaden genommen oder die Schmerzen ausgehend von den vielen Rissen im Darm führten dazu, dass er zwar immer den Drang hatte, zu urinieren, aber sich irgendwie nicht traute. Ich nehme an, es tat ihm einfach weh, zu urinieren. Dies führte dann die nächsten Tage dazu, dass wir in der Halle liefen und ich auf ihn einredete: Gustav, mach mal Pippi. Wenn es sich nicht so blöde anhören würde, aber mit vielen kleinen Tricks schaffte er es dann, zu urinieren nach einer – mehr oder weniger – kurzen oder auch längeren Zeit.

Aber auch dieses Problem gab sich in den nächsten Wochen. Nach wenigen Wochen war wieder alles in Ordnung und Gustav wieder der Alte. Er hatte ein wenig, aber wirklich nur ein wenig, abgenommen und spielte wieder den Clown. Heute ist Gustav wieder ein Schelm wie eh und je. Für mich ist sein Leben seither ein kleines Wunder, an das ich in manchen Momenten kaum noch glaubte. Ich fühlte mich in diesen Tagen so hilflos und machtlos wie noch nie in meinem Leben und bin unheimlich dankbar, dass Gustav dieses zweite Leben geschenkt wurde.

Seither steht Gustav auf Stallmatten, mit denen er sehr gut zurecht kommt. Seither gab es nicht mehr einen Halm Stroh und diesen wird es in Gustavs Leben auch nie wieder geben.

Mich hat diese Geschichte gelehrt, dass kleinste Veränderungen, mehr war es ja eigentlich nicht, zu fatalen Folgen führen können. Seither versuche ich umso mehr, mir sämtliche ggf. eintretenden Folgen kleiner Änderungen in der Pferdehaltung vor Augen zu führen. Ich in sehr glücklich, dass Gustav überlebt hat und werde alles dafür tun, dass keines meiner Pferde jemals wieder eine Verstopfungskolik bekommt, denn nur, wer das erlebt hat, weiß, wie schrecklich so eine Situation ist und wie machtlos man dieser gegenübersteht!

 

Tierheilkundezentrum, Tierheilpraktikerin Claudia Nehls, 33014 Bad Driburg
Tel.: 05648/963335, Handy: 0173/51 57 633

Claudia Nehls
Über den Autoren Claudia Nehls
Claudia Nehls ist Tierheilpraktikerin aus Überzeugung. Sie heilte einst ihr eigenes, von Tierärzten aufgegebenes Pferd mit homöopathischen Mitteln. Begeistert absolvierte sie daraufhin gleich zwei Studiengänge der Tierheilkunde: Ein Direkt- und p ...
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